GROKO oder NOGROKO? Die SPD im Welzheimer Wald diskutiert

Veröffentlicht am 15.02.2018 in Ortsverein

Quelle: Zeitungsverlag Waiblingen | Welzheimer Zeitung | Nr.38 | Donnerstag, den 15. Februar 2018 | Seite 9. Von Matthias Ellwanger

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Sozialdemokraten am Scheideweg


Welzheimer SPD diskutiert über den erneuten Eintritt in eine Große Koalition – und die notwendige Erneuerung der Partei

Welzheim. Zerreißt es die SPD? In der Partei ist nach den turbulenten letzten Wochen gar nichts mehr auszuschließen. Die Genossen stecken in der vielleicht tiefsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Frage, ob ein erneuter Regierungseintritt richtig ist, spaltet auch den Ortsverband Welzheimer Wald. Bei einer leidenschaftlichen Diskussion in der Awo-Begegnungsstätte überwog am Dienstagabend die Skepsis.


„Willkommen im Karnevalsverein SPD“: Auch Tobias Weitmann kann das, was zuletzt in seiner Partei passierte, nur noch mit Humor ertragen. „Gegen uns hat selbst der Straßenkarneval keine Chance“, sagt der Ortsvereinsvorsitzende und bemerkt ironisch: „Wir sind präsent. Man redet über uns. Irgendwas müssen wir richtig gemacht haben.“


Die Ereignisse haben sich bei den Genossen zuletzt wahrlich überschlagen: Erst absolute Ablehnung einer Großen Koalition, dann doch Sondierungen mit CDU und CSU, schließlich die Entscheidung des Vorsitzenden, zurückzutreten, aber Außenminister werden zu wollen. Ein Beschluss, von dem Schulz wenige Tage später ebenfalls Abstand nahm. Die letzte Volte dann eine Stunde, bevor die Diskussionsrunde begann: Statt Andrea Nahles soll zunächst der bei den Genossen eher unbeliebte Partei-Vize Olaf Scholz (Zustimmung beim letzten Parteitag: 59,2 Prozent) den Vorsitz kommissarisch übernehmen. Zeitgleich die neuste Umfrage, bei der die SPD auf 16,5 Prozent abrutscht. Irre Zeiten, selbst für eine Partei, die Aufs und Abs gewöhnt ist und seit jeher mit Wollust ihre Führungskräfte verschleißt.


Man sei im Moment schon frühmorgens gespannt, was die Parteiführung einem als Nächstes präsentiert, meint Weitmann, der dem aktuellen Trubel in der SPD aber auch etwas Positives abgewinnen kann, denn die Partei werde zwar gerade ziemlich durcheinandergewirbelt, aber „mir persönlich hat das auch Spaß gemacht, weil endlich wieder Pfeffer drin ist“.

Nur Schlagworte

Kritik am Koalitionsvertrag


Kein Wunder, dass der Parteivorstand gerade um die Zustimmung zum Koalitionsvertrag zittert – und die Ortsvereine mit professionell aufgemachten Videos und Präsentationen von den Vorzügen der Vereinbarung zu überzeugen versucht. Schließlich gilt es, eine Mehrheit bei der Mitgliederbefragung zu bekommen. Doch die Basis zeigt sich wenig begeistert von den Ergebnissen. Die Zustimmung ist alles andere als sicher. Nicht nur, weil die Jungsozialisten im Moment mit einer professionellen Kampagne um ein „Nein“ werben. Auch in Welzheim findet sich spontan niemand, der den Koalitionsvertrag explizit gut findet. Da sei viel die Rede von „Wir wollen“ oder „Wir setzen uns dafür ein“ – was nach Lesart vieler Mitglieder nichts anderes heiße, als dass es bei Lippenbekenntnisseen bleibe und sich schlichtweg nichts ändern werde.


Besonders erbost über die Ergebnisse zeigt sich Neumitglied Dieter Ansel. Seit drei Wochen ist er wieder in der Partei (nachdem er ihr einst wegen eines kommunalpolitischen Streits nach 30 Jahren den Rücken gekehrt hatte). „Wir haben in den Verhandlungen nichts erreicht“, sagt Ansel. „Da fallen nur Schlagworte.“ Und das, was als Erfolg verkauft werde - etwa der Anstieg des Kindergelds -, sei bei genauerer Betrachtung ein Witz. 25 Euro Erhöhung in zwei Schritten bis 2021 – mit so etwas brauche man den Bürgern erst gar nicht als Argument für eine Regierungsbeteiligung kommen. Mindestens genauso beschämend das Ergebnis bei der Gesundheit: Im Wahlkampf habe man die Bürgerversicherung versprochen – nun solle eine Kommission eingesetzt werden, die sich mit Arztgehältern beschäftigt. Was ihn ausgesprochen ärgere: Egal, wo er gerade mit Leuten spreche, „alle kotzen auf die SPD und lachen über sie – und wir reden über staatspolitische Verantwortung“. Würde die Partei erneut in eine Regierung eintreten, so fände sie sich nach Ansels Einschätzung bei der nächsten Wahl wohl nur noch auf Platz vier oder fünf – hinter AfD und Grünen.

Verantwortung

Erst das Land, dann die Partei?


Nur: Welche Konsequenzen hätte denn ein „Nein“ zur GroKo, das aller Voraussicht nach Neuwahlen zur Folge hätte? Richard Mohr, der sich (wenn auch mit Bauchschmerzen) für eine Neuauflage des Bündnisses aussprach, warnte vor den Folgen einer solchen Entscheidung. Die Partei befände sich dann in einer deutlich schlechteren Position, obendrein mit dem gleichen Personal, das die jetzige Krise herbeigeführt habe. An die Selbstheilungskräfte der Opposition will der Alfdorfer nicht so recht glauben. Und weist auf genau jene staatspolitische Verantwortung hin, die Genosse Dieter Ansel zuvor so kritisiert hatte. Denn „was passiert mit Europa, wenn wir jetzt nicht Verantwortung übernehmen?“ Die SPD müsse, damit die Erneuerung klappt, letztlich drei Dinge beherzigen: die Kommunikation nach außen verbessern, klare Kante gegenüber den Koalitionspartnern zeigen, wenn etwas gegen Grundüberzeugungen geht (Stichwort Glyphosat) – und mittelfristig die Frage der Umverteilung wieder stärker in den Mittelpunkt rücken.


Alexandra Veit glaubt nicht daran, dass so etwas in einer Regierung mit Angela Merkel möglich wäre. Die Welzheimer Gemeinderätin ist nicht nur enttäuscht über die Verhandlungsergebnisse, sie lehnt den Koalitionsvertrag rundweg ab. „Ich habe mich von den letzten GroKo-Vertretern verraten und verkauft gefühlt“, sagt sie. Nur in der Opposition ließe sich die Partei erneuern, weil dann keine faulen Kompromisse nötig seien, die SPD ihre Argumente sowie ihren Wertekanon schärfen könne. „Wir müssen uns darauf besinnen: Was wollen wir eigentlich?“ In einer GroKo falle so etwas naturgemäß schwer. Die Gemeinderätin ist davon überzeugt: „Wir haben das Potenzial in der Partei.“ Nachwuchspolitiker wie der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert etwa. Dass die Jungsozialisten wieder Motor für innere Verstärkung und Basiserneuerung seien, freut Veit.

Klare Kante

AfD soll nicht Opposition führen


Außerdem, auch das sei staatspolitische Verantwortung, dürfe die Oppositionsführerschaft nicht bei den Rechten liegen. „Wenn wir reinhauen können, und das nicht der AfD überlassen, haben wir wieder bessere Chancen“, so ihre Überzeugung. Immerhin: Als SPD-Mitglied könne man darüber abstimmen. Etwas, das viele genauso unzufriedene Christdemokraten nicht dürften. „Und das ist doch was.“


Hin- und hergerissen von der Frage, ob er dem Koalitionsvertrag zustimmen soll, ist hingegen Ernst-Günter Junge. Das Ergebnis habe ihn nicht gänzlich überzeugt, von der Kommunikation der letzten Wochen ganz zu schweigen (er vergab dafür „eine glatte Sechs“). Allerdings müsse ein Juniorpartner nun mal Kompromisse eingehen. Und dann sei da ja noch die große Chance: „Merkeldämmerung“. Vielleicht ließe sich in einer neuen Regierung deshalb doch mehr umsetzen, als jetzt im Koalitionsvertrag steht. Junges Befürchtung: Ginge die SPD in die Opposition, so sähe sie sich permanent von Bürgern mit der Frage konfrontiert: „Wieso habt ihr denn das nicht in einer Regierung umgesetzt?“

Glaubwürdigkeit

Die Partei kämpft um ihre Identität


Ein Punkt, mit dem auch Andrea Nahles auf dem letzten Parteitag laut und energisch um Zustimmung geworben hatte, indem sie sagte: „Weil wir nicht 100 Prozent umsetzen können, sondern nur 80, regieren wir nicht? Die zeigen uns doch den Vogel!“


Diesem Argument der Parteivorsitzenden in spe widerspricht Kreisrätin Gislind Gruber-Seibold vehement: Genau jetzt werde doch diese Frage gestellt: „Warum habt ihr nicht?“ Im Koalitionsvertrag findet sich die Alfdorferin nicht wieder. Das Problem: „Wir verlieren Themen in der GroKo.“ Mit dem Bündnis habe die Partei schlechte Erfahrungen gemacht – weshalb also erneut ein Stück Glaubwürdigkeit verlieren? Es gehe schließlich gerade um nicht weniger als die Identität der Sozialdemokratie.


Tobias Weitmann, der einer GroKo-Neuauflage sehr skeptisch gegenübersteht, erinnerte noch einmal daran, welch schlechtes Ergebnis die Partei bei der Wahl im September kassiert habe: „Wir haben doch keinen Regierungsauftrag, wir sind massiv abgestraft worden.“ Dass Merkel die Möglichkeit einer Minderheitsregierung kategorisch ausschließt, habe ihn deshalb wahnsinnig geärgert.


Die Zukunft der Partei treibt auch Weitmann um. Wobei er zwei gegenläufige Entwicklungen beobachte, die er im Moment noch nicht zusammenbringen könne: eine katastrophale Wählerentwicklung auf der einen und einen starken Zuwachs an jungen Mitgliedern auf der anderen Seite (allein 25 000 in den letzten drei Wochen). Das Interesse an sozialdemokratischen Inhalten sei also durchaus noch vorhanden. Und dass jetzt wie in Welzheim im ganzen Land Ortsverbände intensiv, leidenschaftlich und programmatisch diskutieren, wertet er als ein gutes Zeichen. Wie überhaupt Tobias Weitmann der aufmüpfigen Stimmung in der SPD, die ja auch ein Stück weit zur DNA der Partei gehöre, viel abgewinnen kann. „Das ist doch irgendwie geil. Wenn das mal anders werden sollte, trete ich aus.“

Quelle: Zeitungsverlag Waiblingen | Welzheimer Zeitung | Nr.38 | Donnerstag, den 15. Februar 2018 | Seite 9.